Sei es im Unterricht, auf Workshops, Masterclasses oder Auditions: Das Tänzerinnengehirn ist immer wieder herausgefordert, sich neue Übungen, Schrittkombinationen und Choreographien zu merken. Es ist immer sehr individuell, wie man sich am besten neue Abfolgen einprägen kann. Außerdem hängt es nicht nur von der Tänzerin selbst, sondern auch von der Vermittlungsstrategie der Tanzpädagogin oder Choreographin ab. In diesem Beitrag stelle ich meine 4 Lernstrategien vor.
Verschiedene Lerntypen erfordern verschiedene Lehrstrategien
Mittlerweile ist bekannt, dass das Lernen sehr individuell ist und Menschen auf unterschiedliche Art und Weise lernen. Deshalb gibt es auch nicht die eine universelle Strategie und zum Glück auch nicht nur die eine universelle Vermittlungspraxis. So gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, wie Tanz im Unterricht vermittelt wird, um möglichst alle „Lerntypen“ anzusprechen und ihnen gerecht zu werden.
In den meisten Fällen ist die Tanzvermittlung ein Mix aus visuellen, auditiven und haptischen Reizen. Die Schrittfolgen werden vorgezeigt, angesagt und mit Worten erklärt und gelegentlich durch Berührung spürbar gemacht. Die meisten Tänzerinnen lernen durch das Zuschauen und Nachmachen. Bei mir ist es auch so: Ich brauche visuelle Reize statt nur Worte und Erklärungen. Wenn ich etwas sehe, kann ich es mir viel schneller merken, als durch Zuhören.
Ein einfaches Selbstexperiment zeigt, welchen Lernweg man bevorzugt: Lasse dir eine unbekannte Bewegungssequenz einmal vorzeigen und einmal nur mit Worten erklären lassen. Mit welcher Methode war es für dich einfacher, die Sequenz zu merken?
Dieser Test ist meiner Meinung nach vor allem für das Ballett gut anwendbar, da jede Bewegung mit einer Vokabel gut definiert werden kann. Im zeitgenössischen Tanz ist es etwas schwieriger, aber auch möglich.
Wovon hängt es ab, auf welche Weise wir besser lernen? Zum einen liegt es an der Informationsverarbeitung und -weiterleitung im Gehirn. Zum anderen hängt es davon ab, welche Lernerfahrungen wir bisher gemacht haben und welchen Reizen wir ausgesetzt sind. So ist vielleicht für sehende Tänzerinnen die einfachste Strategie, sich Choreographien durch’s Abgucken besser zu merken. Für blinde Tänzerinnen logischerweise nicht. An dieser Stelle ist die Doku „Looking at the Stars“ über blinde Balletttänzerinnen in Sao Paulo spannend.
Wie ich mir neue Choreographien schneller merke
Gut beobachten und nachtanzen bzw. markieren sind fast die halbe Miete. Bei der Durchführung tanzt die Pädagogin oder Choreographin aber nicht immer mit, also wende ich persönlich folgende Lernstrategien an:
- Erfassen und Analysieren von Mustern
- Orientierung im Raum
- Benennung der Bewegung
- Erfassen und Analysieren der Rhythmen
1. Erfassen und Analysieren von Mustern
In den meisten Übungen oder Variationen ist die Bewegungsabfolge nicht einfach random aneinandergereiht. Sie folgt bestimmten Mustern. Ich versuche immer, diese Muster zu erkennen und so der Übung oder Sequenz eine Art von Kapiteln zu geben. Das hilft mir, vor allem bei sehr langen Übungen. Einfachstes Beispiel ist die beliebte battement jetés Kombination aus der ersten Position, in der abwechselnd mit jedem Bein 8,4,2 oder 1 jeté durchgeführt wird.
Anderes Beispiel, floor work und swings am Boden in Rückenlage: Zuerst kippen nur Becken und Knie zu einer Seite, dann schwingt das Bein mit, als nächstes folgt der Arm und zum Schluss rollt man über den Bauch auf die andere Seite (oder eine beliebig andere Kombi).
Solche Muster versuche ich zu erkennen und so die Übungen und Variationen in Abschnitte einzuteilen. Das hat vor allem den Vorteil, dass ich nicht kleinschrittig denke, sondern einzelne Schritte und Bewegungen zu einer kleinen Einheit zusammenfasse. Es fällt mir so in der Regel viel leichter, die Abfolgen schneller zu merken und abzurufen.
Orientierung im Raum
Tanz ist dreidimensional und je mehr Dimensionen, desto komplexer ist ein System. Um die Orientierung im Raum als Strategie anzuwenden, ist es hilfreich, sich die einzelnen Raumrichtungen und Ebenen mit dem Körper bewusst zu machen. Mir hilft es, zum Beispiel beim Warm-Up wahrzunehmen, wie sich der Raum in meinem Rücken anfühlt. Auch das Durchbewegen des Körpers in verschiedene Richtungen und Ebenen (Boden, Körperebene, über dem Kopf) sind gute Vorbereitungen für die Raumorientierung.
Diese Strategie hilft mir besonders beim Erlernen von zeitgenössischen Choreographien, da dort, nach meiner Erfahrung, häufiger ein Wechsel der Ebenen und gleichzeitiger Richtungswechsel erfolgt als zum Beispiel im klassischen Tanz. Wenn ich den Raum bewusst wahrnehme und bewusst meinen Körper ins räumliche Verhältnis setze, dann hilft mir dieses Gefühl und die Erfahrung dabei, die Choreo oder Variation als bewegtes Bild zu sehen, was sich einfacher abspeichern lässt.
3. Benennung der Bewegung
Das Lernen über das Hören ist auch ein entscheidender Teil im Lernprozess. Je präziser das Wort und die Beschreibung, desto genauer können wir die Information verarbeiten und umsetzen. Vor allem bei Workshops oder Masterclasses im zeitgenössischen oder modernen Tanz ist mir aufgefallen, dass jede Dozentin und jeder Dozent eine eigene Art und Weise hat, die Bewegung zu beschreiben. Einige finde ich total zugänglich, bei anderen habe ich mehr Fragezeichen im Kopf. Das kennen bestimmt viele Tänzerinnen. Deshalb habe ich angefangen, einer Bewegung, die ich sehe, einfach meine eigenen Worte zuzuschreiben.
Beispiel: Die Choreographin zeigt eine Bewegungssequenz und erklärt sie parallel mit: „bum cha wiggle, schritt up uff“. Ja okay, es ist eindringlich, aber nicht immer kann ich das übersetzen, weil ich mir unter „wiggle“ vielleicht eine ganz andere Bewegung abgespeichert habe als sie. Also versuche ich meine eigene Tonspur über die Bewegung zu legen. Das gibt mir gute Anhaltspunkte innerhalb der Schrittfolge.
4. Erfassen und Analysieren der Rhythmen
Musik und Rhythmus sind super hilfreich beim Lernen von Übungen und Choreographien. Das setzt aber auch voraus, dass man mit der Musik etwas vertraut ist. Diese Strategie versuche ich also immer dann einzubeziehen, wenn ich das Material schon ein bisschen kenne und in meinem Kopf genügend Platz habe, um mich auf Musikstil, Klänge, Rhythmen usw. zu konzentrieren. Tricky wird es, wenn Musik und Bewegung entgegengesetzte Dinge machen. Wenn die Musik leise und sanft ist und der Tanz aber sehr energisch und expressiv. Oder wenn gar keine Musik vorhanden ist. Dann folgt die Bewegung aber in der Regel dennoch einem bestimmten Rhythmus. Diesen zu erforschen und sich bewusst zu machen kann auch die Bewegung zugänglicher machen.
Was darüber hinaus beim Erlenen von neuem Bewegungsmaterial wichtig ist
Irgendjemand hat mir mal gesagt: „Wiederholung ist die Mutter der Pädagogik“. Yes, it is. Ohne Wiederholungen würden wir das meiste sehr schnell wieder vergessen. Und wir kennen es auch alle aus dem Tanzunterricht, dass wir viel wiederholen. Das ist auch super sinnvoll und mir hilft es auch ungemein. Durch Wiederholungen übertragen wir das Gelernte in den Körper, wo es sich festsetzen kann. Der Körper führt die Bewegung aus, ohne dass wir groß drüber nachdenken müssen.
Außerdem ist es wichtig, Fragen zu stellen. Das habe ich mich früher selten getraut, weil ich dachte, dass es eine Art Schwäche zeigt und wenn man gut ist, muss man es doch sofort begreifen (ein Hoch auf unser Bildungssystem, aber das ist ein anderes Thema). Dabei ist es essenziell, Fragen zu stellen und so mit anderen Tänzerinnen oder der Choreographin/Pädagogin in den Austausch zu der Bewegung zu kommen. Fragen sind sogar erwünscht und zeigen, dass man voll bei der Sache ist und sich Gedanken macht. Fragen stellen ist positiv.
Die Rollen wechseln
Ich bin auf beiden Seiten aktiv, als Tänzerin und als Tanzpädagogin. Ich kann nur empfehlen, regelmäßig die Perspektive zu wechseln. Wenn ich selbst in der Rolle der Tänzerin bin, fallen mir viele Aspekte auf, die ich in meinen eigenen Unterricht integrieren kann. Andersrum lerne und verstehe ich selbst mehr über eine Choreographie oder Variation, wenn ich sie anderen erkläre. Es kann also für alle eine win-win Situation sein, mal die Seiten zu wechseln.
Das ist selbstverständlich nicht der Weisheit letzter Schluss
Es gibt noch viele andere Methoden und Tricks und nicht zu jeder und jedem passt eine bestimmte Strategie. Oft funktioniert ein Mix aus unterschiedlichen Herangehensweisen am besten. Aber entscheidend ist, wenn man seine individuelle Strategie gefunden hat, sollte man sich nicht davon abbringen lassen. Lernen ist sehr individuell und im besten Fall bietet die Dozentin unterschiedliche Lernwege im Unterricht an.
Welche Strategien und Methoden hast du? Was funktioniert gut und was nicht? Teile es gerne in den Kommentaren oder schreib mir eine Nachricht. Ich freue mich, von deinen Erfahrungen zu hören.