Ich habe mein Tanztraining jahrelang nie als Sport im eigentlichen Sinne angesehen. Natürlich war mir immer bewusst, dass körperliche Höchstleistungen an meinen Körper gestellt werden, dass ich Muskelkraft und Beweglichkeit trainieren muss. Aber es ist nun mal nicht die Bewegung per se, die den Tanz ausmacht, sondern seine ästhetische Komponente. Tanz ist Kunst. Und ich habe immer in dem Bewusstsein gelebt, eine Kunstform und keine Sportart auszuüben.
Nichtsdestotrotz kann der physische Leistungsanspruch im Tanz nicht geleugnet werden. Ballett sieht vielleicht easy aus, aber erfordert ein enormes Maß an Muskelkoordination und Muskelstärke, Ausdauer und Beweglichkeit. Ein Leistungssport, dem nicht angesehen werden darf, das er so hart ist. Das ist alles andere als easy.
Deshalb gelten für das Tanzen auch dieselben Trainingsprinzipien wie für andere Leistungssportarten. Es wichtig, diese zu kennen, um gesund und verletzungsfrei über viele Jahre trainieren zu können aber auch, um die eigene Leistung zu steigern. Das Prinzip „Viel hilft viel“ gehört übrigens aus der Trainingsplanung aussortiert.
1. Das Prinzip der Superkompensation
Die Fitness und körperliche Leistung wird nicht durch ständiges und härteres Training verbessert („viel hilft viel“), sondern durch den Wechsel von Belastung und Ruhe. Jeder starke Trainingsreiz, der den Körper überrascht und herausfordert, bringt ihn auch aus dem Gleichgewicht. Nach dem Training beginnt der Körper mit seinen Reparaturarbeiten und stellt die Leistungsfähigkeit wieder her. Wenn der Trainingsreiz stark genug war, dann passt der Körper sich der Belastung an. Um also beim nächsten Training nicht wieder von den körperlichen Anforderungen überrascht zu werden, steigert der Körper sein Fitnessniveau. Dieser Prozess wird Superkompensation genannt.
Es lohnt sich also nach einem anspruchsvollen Training, indem zum Beispiel der Schwerpunkt auf Allegro lag, die Muskeln erholen zu lassen und nicht noch im Anschluss die Spitzenschuhe anzuziehen.
Ruhe und Regeneration sind somit entscheidend, um besser zu werden. Ohne Erholungsphasen kommt man in den Bereich des Übertrainings. Die Leistung stagniert, der Körper ermüdet und kann sich nicht regenerieren. Zudem steigt die Verletzungsgefahr.
2. Das Prinzip der progressiven Überlastung
Zur Steigerung der Trainingsleistung braucht der Körper einen ausreichenden Reiz. Bleibt das Training immer gleich, dann bleibt auch das Leistungsvermögen auf gleichem Niveau. Überlastung bedeutet in dem Zusammenhang also, dass die Trainingseinheiten anspruchsvoller gestaltet werden müssen. Zum Beispiel durch Erhöhung des Schwierigkeitsgrads, der Intensität oder Dauer.
Entscheidend bei diesem Prinzip ist allerdings das Wörtchen „progressiv“. Die Trainingssteigerung soll also nicht in zu großen Schritten erfolgen und auch nicht in einem zu kleinen Zeitraum. Das ist vor allem nach Verletzungspausen oder anderen längeren Trainingspausen (Ferien/Urlaub) zu beachten. Sonst passiert nämlich das Gegenteil: Überforderung des Körpers, Schmerzen, kein Trainingsfortschritt.
Lieber die Schwierigkeit und Intensität langsam steigern und regelmäßig für eine Abwechslung im Training sorgen. Die Abwechslung kann zum Beispiel dadurch erreicht werden, wenn das Basic-Stangentraining in Spitzenschuhen getanzt wird oder die Übungen, wo sinnvoll, auf der halben Spitze durchgeführt werden. Auch mit der Dauer der Übungen kann experimentiert werden, zum Beispiel durch Erhöhung der Wiederholungen. Oder wechsle einfach die Tanzart und integriere in dein klassisches Training den Modernen Tanz (oder umgekehrt).
3. Das Prinzip der Umkehrbarkeit
Bei längeren Trainingspausen oder bei Reduzierung des Trainingspensums verliert man ein Stück an Fitness und Leistungsvermögen, welches vorher aufgebaut wurde. In bestimmten Phasen kann das sogar sinnvoll sein, beispielsweise nach anstrengend Proben- oder Trainingsphasen wie für Prüfungsvorbereitungen, Aufführungen etc. Die körperliche Leistung kann nicht immer steigen und steigen. Es gibt immer einen Wechsel zwischen Phasen des Leistungsaufbaus, der Stagnation und des Leistungsrückgangs, erneuten Leistungsaufbaus usw.
Gesund und erfolgreich zu trainieren bedeutet, diese Leistungsphasen und Schwankungen zu erkennen und die Trainingsplanung gezielt anzupassen, um burn out und Verletzungen vorzubeugen.
4. Das Prinzip der Spezifität
Bei diesem Prinzip geht es darum, dass diejenigen Muskelgruppen trainiert werden, die auch für die Ausführung bestimmter Bewegungen und Sequenzen benötigt werden. Eigentlich sehr logisch und intuitiv: Will ich meine Technik im Allegro verbessern, dann muss ich die Schnellkraft und Kraftausdauer in meiner Beinmuskulatur trainieren (und meine Ausdauer). Dies schaffe ich nicht durch das Üben unzähliger Pirouetten, auch wenn das grundsätzlich meine tänzerische Fähigkeit verbessert, nur halt nicht meine Sprungfähigkeit. So macht es Sinn, sich konkrete Trainingsschwerpunkte zu setzen, die über einen bestimmten Zeitraum trainiert werden.
Im Allgemeinen fokussieren wir uns stets auf unsere Schwachstellen. Das ist natürlich sinnvoll, um diese zu verbessern. Das Arbeiten an den Stärken wird oft hinten angestellt und unterschätzt. Eine Leistungsverbesserung wird aber nicht nur durch das Arbeiten an den Schwächen erzielt. Es ist genauso wichtig, die Stärken hervorzuheben und auszubauen.
5. Das Prinzip der Individualität
Leider vergleichen wir uns ständig mit anderen Tänzerinnen und setzen uns Maßstäbe, die uns nicht immer gerecht werden. Aber es ist nun mal so, dass jeder Körper individuell ist und somit ist auch die Leistungsentwicklung individuell. Einige entwickeln sehr schnell eine gute Ausdauerfähigkeit, die anderen sind von Natur aus beweglicher und wiederum andere haben eine super felsenfeste Balance. Die eigene Physiologie zu verstehen, ermöglicht uns, das beste aus jeder Trainingseinheit herauszuholen. Wenn du sehr beweglich bist oder gar zu Hypermobilität neigst, dann reize nicht jede Dehneinheit im Training aus. Wenn du zu starkem Muskelkater nach jedem Training neigst, könnte es daran liegen, dass deine Eiweißversorgung nicht ausreichend ist oder das Training für dich in diesem Moment zu anspruchsvoll ist. Es ist nicht immer sinnvoll, das zu tun, was andere tun.
Kenne deinen Körper, deine Stärken und Schwächen und akzeptiere deine persönlichen Grenzen. Nur dann kannst du effektiv trainieren und profitierst vom Training.
Informationsquellen für gesundes Tanztraining:
- tamed. e.V. Verein für Tanzmedizin im deutschsprachigen Raum
- IADMS International Association for Dance Medicine & Science
- the dance psychologist: englischsprachiger Blog zu mentaler Gesundheit und Psychologie von Tänzer*innen und Performer*innen
- fit for dance Institut für Tanzmedizin unter der Leitung von Dr. Liane Simmel (Tänzerin, Medizinerin und Autorin)
1 Anwort auf „5 Trainingsprinzipien, die jede Tänzerin kennen sollte“
[…] Immer wieder ein und dasselbe Training mit der gleichen Intensität bringt auf Dauer keinen Trainingsfortschritt. Die Muskeln besitzen eine gute Adaptionsfähigkeit und brauchen deshalb über einen bestimmten Zeitraum immer wieder neue Reize. Dieses Prinzip nennt sich das Prinzip der progressiven Überlastung. Dieses und weitere vier wichtige Trainingsprinzipien kannst du nochmal in diesem Artikel nachlesen. […]