Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen macht einen großen Teil in den meisten Tanzschulen aus. Neben einem Bildungsauftrag haben diese auch einen Schutzauftrag: Kinder sollen nicht nur etwas lernen und Spaß haben, sie müssen unversehrt und in Sicherheit sein, mit Respekt behandelt und ernst genommen werden. Ja, logisch! Diese Selbstverständlichkeit war allerdings in der Gesellschaft nicht immer vorhanden und trotz einer enormen Entwicklung in den letzten 30 Jahren, bleibt heute noch einiges in Sachen Kindeswohl zu tun. In diesem Artikel geht es um die Rechte der Kinder, wie es um den Kinderschutz so steht und was Tanzschulen dazu beitragen können.
Kinderschutz in Deutschland und weltweit
Weltweit leiden jährlich 1 Mrd. Kinder unter Gewalt und Ausbeutung. Fast jedes fünfte Kind wächst im Krieg auf, ca. 10 Mio. Kinder werden zu Prostitution gezwungen und 25 % der Mädchen bzw. 17 % der Jungen erleben sexuelle Gewalt. Alle 5 Minuten stirbt ein Kind an den Folgen von Gewalt (Quelle: Aktion-Deutschland-hilft.de).
In Deutschland wurden laut Kriminalstatistik im Jahr 2018 durchschnittlich 40 Kinder pro Tag Opfer sexueller Gewalt. Dabei kommen die Täter*innen meistens aus dem persönlichen Umfeld des Kindes. Die Dunkelziffer ist mit Sicherheit weitaus höher, da nicht alle Fälle zur Anzeige gebracht werden. Ungefähr 15% der Kinder und Jugendlichen sind von Armut bedroht (Quelle: Tagesschau). Darüber hinaus meldeten die Jugendämter einen Anstieg der Kindeswohlgefährdung um 10 % im Vergleich zum Vorjahr (Quelle: Kinderschutz Niedersachsen).
Um die Sicherheit von Kindern im öffentlichen und privaten Raum zu gewährleisten, müssen Maßnahmen zu ihrem Schutz getroffen werden. Dabei geht es zum einen um Schutz vor physischer oder psychischer Gewalt, aber auch um den Schutz vor Armut, Verwahrlosung und nicht-kindgerechter Behandlung.
Der Kinderschutz in Deutschland teilt sich in zwei wesentliche Bereiche auf: Prävention und Intervention. Es geht also darum, Bedingungen zu schaffen, die eine Benachteiligung und Beeinträchtigung vermeiden und das Eingreifen in einer Gefährdungssituation ermöglichen. Den gesetzlichen Rahmen bietet dafür das Bundeskinderschutzgesetz sowie andere Rechtsvorschriften.
Schutzkonzepte
In der Kinder- und Jugendarbeit, zum Beispiel in Vereinen oder Jugendfreizeiten, werden Schutzkonzepte erarbeitet. Ein Schutzkonzept besteht aus einer Risikoanalyse für die Einrichtung, in der sich Kinder und Jugendliche aufhalten. In einem Schutzkonzept werden Maßnahmen und Regeln getroffen, um einer Kindesgefährdung vorzubeugen und Handlungsschritte festgesschrieben, wenn es doch zu einem Vorfall oder Verdacht kommt. In der Risikoanalyse geht es zentral um die Frage: Welche Bedingungen können Täterinnen und Täter nutzen, um die Grenzen der Kinder und Jugendlichen zu überschreiten? Dabei geht es nicht nur um physische Gewalt. Auch Psychische Gewalt und Diskriminierung spielen in Schutzkonzepten eine Rolle.
Risikoanalyse Tanzschule
Grundsätzlich ist die Tanzschule als Ort nicht mehr oder weniger gefährlich als die allgemeinbildenden Schulen, Vereine oder Jugendfreizeiten. Es hängt immer von mehreren Faktoren ab, die ein potentielles Risiko im jeweiligen Umfeld für Kinder und Jugendliche darstellen. Es ist wichtig, diese zu kennen und sich bewusst zu machen, um geeignete Maßnahmen zum Schutz zu treffen. Mit den folgenden Fragen, ist eine erste Risikoeinschätzung möglich:
- Kommen Besucherinnen und Besucher bemerkt oder unbemerkt in die Schule?
- Wer hat alles Zugang zu den Umkleidekabinen?
- Welche Erfahrungen habe ich bereits mit Grenzüberschreitung gemacht?
- Kann die Schule von verschiedenen Eingängen betreten und verlassen werden?
- Wo können Gefahrenmomente entstehen?
- Entstehen besondere Vertrauensverhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen?
- Habe ich Informationen über Hilfsangebote und Beratungsstellen?
- Wie ist der Umgang mit Distanz und Nähe?
- Gibt es ein festgeschriebenes Vorgehen, wie bei Beschwerden oder Vorfällen gehandelt wird?
- Welche Möglichkeiten haben die Schüler*innen, um den Unterricht mitzugestalten und an Prozessen beteiligt zu werden?
- Welche pädagogischen Methoden und Settings sind anfällig für Grenzverletzungen?
- Kennen alle die Verhaltensregeln der Schule und Sanktionen bei Regelverstößen?
- Wie werden Konflikte bearbeitet und bewältigt?
- Wird sensibel und reflektiert mit Sprache umgegangen?
Bei einer Risikoanalyse geht es vor allem darum, Machtverhätnisse zu bewerten aber auch Situationen und Tätigkeiten detailliert zu analysieren, um daraus Regeln und Handlungen abzuleiten, die präventiv wirken und einen sicheren Umgang für alle Beteiligten bei Vorfällen bieten. Bei einer Risikoanalyse werden aber auch die Stärken der Einrichtung untersucht.
Man braucht nicht gleich ein Schutzkonzept
Ja, das mag sein. Jede Überlegung und Maßnahme zum Schutz vor Gewalt und Diskriminierung ist super wichtig und steht einem Schutzkonzept in nichts nach. Die Erarbeitung eines Schutzkonzeptes ist ein längerer Prozess und verlangt Unterstützung von Expert*innen. Aber: Ein Schutzkonzept hat sich in Sportvereinen, an Schulen und anderen Einrichtungen bewährt. Ich persönlich würde mir wünschen, dass es sich in allen Bereichen etabliert und bekannt ist.
In den meisten Fällen erleben Menschen Gewalt aus ihrem persönlichen Umfeld. Es ist so wichtig, dass wir uns das bewusst machen. Ein Schutzkonzept kann dabei helfen, die Sicherheit in einer Tanzschule zu erhöhen aber es bringt auch gleichzeitig mir selbst Sicherheit im Umgang mit Grenzverletzungen. Ich kann viel schneller und effektiver handeln, wenn es einen Leitfaden gibt, der mir sagt, wie ich bei Belästigung, Gewalt oder Diskriminierung vorgehe. Und ein Schutzkonzept schafft außerdem für alle Transparenz.
Zusammengefasst erfüllt ein Schutzkonzept in Sport- und Freizeiteinrichtungen zwei wesentliche Aufgaben:
- Betroffenen Hilfe bieten
- Kein Tatort werden
Was tun, wenn ein Kind sich mir anvertraut?
Wichtig ist natürlich nicht nur der Schutz von Kindern in der Tanzschule selbst. Tanzpädagoginnen sind für ihre Schülerinnen auch Bezugspersonen, zu denen sie Vertrauen aufgebaut haben. Es kann also auch passieren, dass sich dir ein Kind anvertraut. Oder du bemerkst ein grenzüberschreitendes Verhalten von Erwachsenen aus dem Umfeld des Kindes, sei es von den Eltern oder anderen Bezugspersonen. Was tun?
- Als aller erstes atmen und einen klaren Gedanken fassen. Solche Situationen kommen meistens überraschend und überfordern uns Menschen im ersten Augenblick.
- Ernst nehmen: Sei es ein Verdacht, eine beobachtete Situation oder die Äußerung des Kindes selbst.
- Das Kind fragen, ob alles in Ordnung ist, ob es sich Unterstützung wünscht etc. Kinder und Jugendliche sollen immer miteinbezogen werden in jede unserer Handlung. Schließlich geht es um sie selbst.
- Ansprechen (wenn man sich das zutraut). Dabei gilt: nachfragend und nicht anklagend.
- Sich beraten lassen: z.B. bei Sorgentelefonen, Gewaltschutzberatungen oder beim Kinderschutzbund.
Es ist wichtig, sich Unterstützung zu holen, denn solche Erfahrungen können emotional sehr belasten.
Kinderrechte
Vor fast 31 Jahren verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die UN-Kinderrechtskonvention. Dort kommt zum Ausdruck, dass die Kinder eigene Rechte haben und die Staaten verpflichtet sind, die Kinderrechte auch umzusetzen. Unterteilt sind diese in Schutzrechte, Förderungsrechte und Beteiligungsrechte. Für uns ist das heute selbstverständlich, doch es war ein langer Verhandlungsprozess.
Kinder haben zum Teil speziellere Bedürfnisse als Erwachsene, weshalb die allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht weit genug geht. In der Kinderrechtskonvention wird zum Beispiel festgeschrieben, dass
- die eigene Meinung von Kindern gehört und berücksichtigt wird
- sie das Recht auf Bildung, den Schulbesuch und eine Berufsausbildung haben
- das Recht auf Ruhe und Freizeit anerkannt wird
- Kinder nur ab einem bestimmten Alter und unter Schutzbestimmungen arbeiten dürfen
- Kinder Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch bekommen
- ihr Unterhalt und eine kindgerechte Entwicklung gesichert sind
Zudem verpflichten sich die Vertragsstaaten, regelmäßig über die Umsetzung der Kinderrechte zu berichten.
Das Kinderrechtsabkommen wurde bereits von 195 Staaten ratifiziert. Unter den UN-Mitgliedsstaaten haben bisher nur die USA den Vertrag nicht unterzeichnet. In Deutschland werden die Kinderrechte umgesetzt. Doch es gibt noch einiges zu tun.
Kinderrechte ins Grundgesetz
Bisher sind die Kinderrechte nicht im Grundgesetz verankert. Kinder können in vielen Situationen ihre Rechte nicht selbst einfordern. Um eine bessere Umsetzung der Kinderrechte und der Rechtsprechung zu ermöglichen, setzt sich seit mehreren Jahren ein breites Bündnis aus Organisationen für die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ein. Im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist nun zum ersten mal vorgesehen, die Kinderrechte in das Grundgesetz zu integrieren. Für diese Grundgesetzänderung bedarf es einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat.
Expertinnen und Organisationen aus der Zivilgesellschaft sind sich einig: Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz verbessert den Kinderschutz, schafft Rechtsicherheit vor Gerichten und in der Verwaltung und sichert die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am gesellschaftlichen Leben.
Es ist ein Signal für die gesamte Gesellschaft: Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten mit speziellen Bedürfnissen und keine kleinen Erwachsenen.
Wir tragen alle etwas dazu bei, dass Menschenrechte und Kinderrechte gewahrt werden.
Kinderschutz geht alle etwas an.
Weiterführende Links und Informationen
- Infos zum Kinderschutz und Kinderrechten gibt das Deutsche Kinderhilfswerk
- Wer sich über alle Bestandteile eines Schutzkonzeptes informieren will, findet hier wichtige Infos
- Arbeitsmaterial, Fachliteratur und weitere Infos zum Kinderschutz in Niedersachen gibt es hier
- Alle 54 Artikel der UN-Kinderrechtskonvention findest du hier
- Im Februar erschien online im Feuilleton der FAZ eine Kritik an pädagogischen Methoden in Ballettschulen anlässlich der Vorfälle in der Ballettschule der Wiener Staatsoper und Staatlichen Ballettschule Berlin
- Die Süddeutsche Zeitung schrieb im Dezember 2019 über den Abschlussbericht der Sonderkommission zu den Misshandlungsvorwürfen an der Ballettschule der Wiener Staatsoper
- Über den Zwischenbericht der Expertenkommission zu den Vorfällen an der Staatlichen Ballettschule Berlin gibt es einen differenzierten Beitrag zum Hören und Lesen auf Deutschlandfunk Kultur
- Zum Thema Kinderrechte in Deutschland gibt es hier Infos
- Hier findest du den Deutschen Kinderschutzbund vor Ort