Teacher-Kolumne Folge #1
Wenn Kinder neu zu mir in den Tanzunterricht kommen, dann kristallisieren sich grob zwei Gruppen heraus: Die einen, die einfach Spaß an der Bewegung zur Musik haben und die anderen, die bereits eine mindestens vierjährige Ausbildung in Ballettrepertoire mitbringen. So war das dann auch bei meinem neu gestarteten Kurs Tänzerische Früherziehung für Kinder ab 4 Jahren.
„Hannah* möchte schon seit 2 Jahren Ballett tanzen, aber es gab bisher nicht den passenden Kurs für sie“, sagt der Vater des fünfjährigen Mädchens mit perfekt frisiertem Dutt. „Na, umso schöner, dass du nun hier bist“, antworte ich motiviert und gehe mit Hannah in Richtung Ballettsaal zu den anderen Kindern.
Dort macht sie mir dann gleich klar, dass sie bereits Schwanensee gesehen hat und es heute gerne tanzen möchte.
Uff, ausgerechnet Schwanensee?
„Jaaaaa, das kenne ich auch!“, tröten mir Finja und Leon im Chor entgegen und so wurde auch die Neugier der restlichen Kinder geweckt: Was hat es nun mit diesen langhälsigen Enten auf sich?

Ich weiß, dass ich das Storytelling sensibel angehen muss, denn in vielen Büchern oder Filmen wird das Ende in Schwanensee anders erzählt als im Original. Und das letzte was ich will, ist, die Kinder in ihrer ersten Tanzstunde zu verstören, schließlich sind sie Happy Endings gewöhnt. Also frage ich in die Runde, ob jemand die Geschichte erzählen mag. Einerseits, um mir Zeit zu verschaffen, nach einer kindgerechten Lösung für den Ausgang zu suchen, ohne dabei die Wahrheit zu verzerren. Und andererseits, um die Kinder besser kennenzulernen.
Alle schauen mich verhalten und ideenlos an und plötzlich sprudelt es nur so aus Hannah heraus:
„Also, da ist eine Prinzessin, die ist ein Schwan und ihre Schwestern und Freundinnen sind auch alles Schwäne und sie werden gefangen gehalten von einem bösen Mann, der hat die Schwäne eingesperrt und will sie kochen und dann essen. Aber dann kommt die kleine Meerjungfrau und befreit die Schwäne und schwimmt mit ihnen an die Oberfläche…“
Wow.
Beim Gedanken an den bösen Mann, der aus der Prinzessin und ihren Schwestern Chicken Nuggets machen will, ist nicht nur mir die Kinnlade runtergefallen. Aber immerhin wurden sie noch rechtzeitig von der kleinen Meerjungfrau gerettet, auch wenn ich nicht weiß, was die da eigentlich zu suchen hatte?!
Mein Gefühl sagt mir, dass die Lust der meisten Kinder, dieses seltsame und gruselige Märchen zu tanzen, langsam vergeht und so starte ich einen Aufklärungsversuch, ohne dabei die Fantasie der aufgeweckten Hannah zu killen:
„Ich glaube, der böse Zauberer Rotbart wollte die Schwäne gar nicht essen, er war doch Vegetarier oder?“
„Ja genau!“, erinnert sich auch Leon wieder.
„Ach jaaa, stimmt“, lenkt Hannah diplomatisch ein, „er wollte sie einfach nur so töten…“
„…aber zum Glück kam ja die kleine Meerjungfrau und hat alle gerettet“, fiel ich Hannah ins Wort. „Die Schwäne und die Meerjungfrau tanzen vor Freude am See und haben richtig viel Spaß miteinander, wollen wir alle zusammen Schwanensee tanzen?“
Und schon wirbelten alle Kinder mit Flatterarmen durch den Saal.
Grad‘ noch so die Kurve gekriegt, sag ich euch.
Oh ja und guten Appetit beim nächsten Grillhähnchen!
The Happy End.
*Namen der Kinder wurden geändert
1 Anwort auf „Wer hat die vier kleinen Schwänchen gefressen?“
Ich liebe diese Geschichte ! Aus dem Leben einer Ballett Lehrerin .
Herrlich ! 🩰