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Zwischen Anspruch, Selbstzweifeln und künstlerischer Praxis

Unter dem #mentalhealthawarenessmonth verfolge ich die letzten Wochen Beiträge von Tanzpsycholog*innen und Organisationen wie der IADMS (International Association for Dance Medicine und Science), die die mentale Gesundheit von Tänzer*innen und Performer*innen in den Fokus stellen möchten. Auf Grund der aktuellen Situation während der COVID-19 Pandemie ist das Thema, nach meinem Empfinden, stärker im Vordergrund als sonst, was natürlich auch seine Berechtigung hat.

Die IADMS veröffentlichte eine Webinar-Reihe unter dem Titel „Helping Dancers Help Themselves“:

„[…] to offer support, information, and community to dancers, dance educators, researchers, and medical professionals during COVID-19. The programming includes panel discussions and videos on mental health, safe dance practice, and more“.

https://www.iadms.org/page/coronavirus#webinars

Natürlich sind die Pandemie und ihre Auswirkungen auf die mentale Verfassung ein guter Anlass, um auf das Thema mental health aufmerksam zu machen. Zudem sind die Webinare der IADMS frei auf youtube verfügbar, sodass die Inhalte weitesgehend für eine große Masse zugänglich sind. Ein bisschen wundert es mich aber schon, dass es offensichtlich eine weltweite Krise braucht, um dieses wichtige Thema mit Priorität zu behandeln und einen hohen Stellenwert beizumessen. Schließlich war die Herausforderung mit dem Umgang mit Selbstzweifeln, Depressionen, Angst vor dem Scheitern, Apathie, Verletzlichkeit und so vielem mehr bereits vor der Pandemie daily business von Künstler*innen und Tänzer*innen.

Nichtsdestotrotz freut es mich, dass die Initiative gestartet ist und ich hoffe und erwarte auch ein Stück weit, dass das Angebot ausgebaut wird, auch im deutschsprachigen Raum. Schließlich ist das psychische Befinden keine Angelegenheit des Individuums alleine, sondern befindet sich in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung.

Wenn die herrische Kritikerin in meinem Kopf überhandnimmt

Als Kind habe ich selten an irgendwas gezweifelt. Und Ansprüche hatte ich schon gar nicht, ich wusste wahrscheinlich nicht, was das ist. Ich habe einfach gemacht. Mich verkleidet, Szenen aus meinen Lieblingsfilmen nachgespielt, habe mir Tänze ausgedacht und das Wohnzimmer in ein Theater verwandelt. Alles, was aus meinem kleinen Kopf raus musste, habe ich kommentarlos ausprobiert, ohne es zu bewerten. So machen das Kinder nunmal.

Wenn ich jetzt versuche, in meinem Wohnzimmer zu tanzen oder zu choreographieren, dann kommen immer diese Gedanken: Puh, das ist aber wackelig. Diese Bewegung machst du immer, das ist langweilig. Bei xyz auf instagram sieht das aber besser aus.

Ich zähle es zu meinen positiven Eigenschaften, dass ich kritisch und reflektiert bin. Allerdings führt das oft dazu, dass ich mein künstlerisches Ich infrage stelle. Eine laute und alles niederschmetternde Stimme in meinem Kopf baut sich auf und sagt eiskalt: Das ist scheiße.

Ich frage mich immer wieder: Wie schaffe ich, diese Balance zwischen emotionalen ups and downs zu finden, ohne mich entmutigen zu lassen? Warum sollte ich nicht aufgeben? Wie könnte meine künstlerische Praxis aussehen, wenn ich es einfach so handhabe wie damals als Kind?

„Why am I feeling this way and what can I do?“

Unter diesem Titel bietet die IADMS ein Webinar an, was ich mir heute auf youtube angeguckt habe. In einem 20-minütigen Video wird die Komplexität von Emotionen erklärt und praktische Tipps gegeben, wie man sich als Tänzerin der eigenen Gefühlslage bewusst werden kann und diese in der eigenen Praxis nutzt.

Ein bisschen hat mir das Webinar geholfen, mir bewusst zu machen, dass es auch was mit dem persönlichen Temperament zu tun hat, wie ich mit Gefühlen (positiv oder negativ) umgehe. Und es wurde nochmal deutlich, welche Rolle eigentlich Leidenschaft dabei spielt und wie sie meine Emotionen beeinflusst.

Wie kann die Auseinandersetzung mit den Themen Mental Health und Psychologie im Tanz die eigene Praxis stärken?

Meine Emotionen in Bezug auf meine künstlerische Tätigkeit sind sehr diffus. Innerhalb von einer Stunden kann ich Begeisterung, Zuneigung, Angst und Verzweiflung durchleben. Manchmal ist das einfach zu viel. Und ich habe kapiert, dass das alles mit Verletzlichkeit zu tun hat. Der Tanz ist tief in mir verwurzelt, seit meiner Kindheit. Es ist ein Teil meiner Identifikation. Eine Leidenschaft, die mich anzieht und begeistert, aber auch Ängste auslöst. Angst vor dem Scheitern zum Beispiel: Was, wenn meine Ziele und Erwartungen gar nicht realistisch sind? Wie beurteilen die anderen meinen Tanz und was macht das mit mir?

Manchmal fühle ich mich wie in einem Hamsterrad gefangen: Ich lege so viel Strecke zurück und komme trotzdem nie ans Ziel. Oder strenge ich mich einfach nicht genug an? Welchen Ansprüchen will ich überhaupt gerecht werden?

Und hier spielt es mir wieder in die Hände, dass ich so gerne kritisch hinterfrage: Für wen mache ich das alles eigentlich? Für mich. Deswegen muss auch ich meinen Weg und meine Werte definieren. Meine Ansprüche will ich nicht an den Maßstäben anderer aufstellen. Es ist problematisch, dass Tanz, Kunst und Performance immer wieder beurteilt werden. Denn hinter jeder Beurteilung steht auch ein bestimmtes Ideal, eine bestimmte Norm, wie etwas zu sein hat. Aber das hat am Ende wenig mit künstlerischer Individualität zu tun und gibt einem gar nicht erst die Möglichkeit, sich weiterzuentwicklen. Ich möchte auch nicht mehr ständig beurteilen. Nicht mich, nicht meine Kolleg*innen. Ich wünsche mir viel mehr einen Raum, in dem jede künstlerische Praxis existieren kann.

Wir sollten alle viel mehr darüber sprechen, was wir fühlen. Und wir sollten viel mehr über die Bedeutung von Emotionen und Glaubenssätzen im Tanz aufklären. Denn mental health ist ein Teil von dance health.

Was ich jetzt tun werde, um nicht aufzugeben

Ich werde einfach machen. Mit meiner Idee oder einem Impuls starten und experimentieren. Ich werde ausprobieren, evaluieren, neu ansetzen. Nicht daran denken, dass xyz es auf die oder die Weise gemacht hat. Zwischendurch werde ich zweifeln. Und das lasse ich zu. Es ist okay, nicht immer auf hohem Niveau zu performen. Es ist okay, auch mal in eine Sackgasse zu laufen.

Ich werde mentales Training in mein Tanztraining integrieren. Außerdem werde ich die Beziehung mit der herrischen Kritikerin beenden. Schließlich beinflusst der Körper den Kopf und der Kopf den Körper. Und der Tanz spricht beides an.

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